Montag, Januar 31, 2011

Wie ein deutsches Konsumwunder aussieht

Zur Zeit liest man in den Medien immer wieder, es gebe in Deutschland ein "Konsumwunder". Da ist die Rede davon, der Aufschwung in Deutschland sei selbsttragend, weil die Menschen unglaublich viel konsumierten.

Um diese Meldungen zu verstehen, muss man wissen, dass Deutschland in den letzten 15 Jahren massives Lohndumping betrieben hat und dafür zu Recht kritisiert wurde. Insbesondere wurde lange - aber leider nicht deutlich genug - darauf hingewiesen, dass die hohe Verschuldung anderer Euro-Staaten zu einem großen Teil einfach das zwingende Pendant der hohen Exportüberschüsse Deutschlands innerhalb der Eurozone sind. Die anderen Staaten der Eurozone leiden also unter dem Verhalten Deutschlands.

Die Ironie daran ist, dass die große Mehrheit der Deutschen davon überhaupt nicht profitiert, weil die hohen Exportüberschüsse ja gerade dadurch ermöglicht werden, dass es eben dieser Mehrheit aufgrund politischer Entscheidungen schlechter ergangen ist als den entsprechenden Bevölkerungsschichten andernorts in Europa. Einer kleinen Elite deutscher Exporteure gelingt es erstaunlicherweise, sowohl ihre Landsleute als auch jetzt im Zuge der sogenannten "Schuldenkrise" den Rest Europas auszubeuten.

In diesem Kontext muss man die Forderungen zu Lohnerhöhungen und zur Stärkung des deutschen Binnenmarkts verstehen: diese Maßnahmen würden gleichzeitig der deutschen Bevölkerung und den anderen Staaten der Eurozone helfen.

Vor diesem Hintergrund steht das Medienfeuer namens "Konsumwunder" unter dem Verdacht, im Grunde einfach nur Propaganda zu sein: Seht her, unser Binnenmarkt ist stark, Deutschland ist unschuldig, lasst uns weitermachen wie bisher. Da dachte ich mir, ich sehe mir einmal die Rohdaten vom Statistischen Bundesamt an.

Hier ist der reale (also preisbereinigte) indizierte Umsatz des Einzelhandels in Deutschland:

Konsum ist natürlich nicht nur Einzelhandel. Ein guter Indikator für die Stimmung ist die Gastronomie, da Kneipen- und Restaurantbesuche natürlich als erstes gekürzt werden, wenn es im Geldbeutel knapp wird. Dort sieht das Bild so richtig düster aus:

Wer auch noch saisonbereinigte Statistiken sehen will: hier sind sie zumindest für den Einzelhandel. Sie sind natürlich mit Vorsicht zu genießen. Man betrachte einmal, wie weit die beiden Kurven teilweise auseinander liegen, obwohl sich sich nur in der Bereinigungsmethodik unterscheiden. Das zeigt aber auch sehr anschaulich, wie viel Kaffeesatzleserei bei all den ökonomischen Analysen und Prognosen immer dabei ist.

Full Disclosure: Die zugänglichen Datenreihen enden im November 2010, die bereinigten enden im August 2010. Allerdings wird sich der Trend nicht in zwei Monaten so weit umgekehrt haben, dass man verlässlich von einem Wunder reden kann. Statistik ist eine unpräzise Wissenschaft.

Man kann es drehen und wenden wie man will, das sogenannte "Konsumwunder" ist weit und breit nicht zu sehen. Vergleiche zu des Kaisers neue Kleider und 1984 - man muss die Lüge nur oft genug wiederholen - drängen sich angesichts der Lautstärke, mit der das "Konsumwunder" trotzdem beschworen wird, geradezu auf.

Achtet übrigens auch einmal darauf, wie oft bei der Berichterstattung über das "Konsumwunder" tatsächliche Umsatzzahlen genannt werden, und wie oft lediglich von Prognosen die Rede ist, die wenige Monate später sicher vergessen sind. Manche der Kommentare enthalten überhaupt keine harten Fakten (z.B. in der SZ vom 1.2. - aus guten Gründen ohne Link).

Zuletzt möchte ich an dieser Stelle auf die Nachdenkseiten hinweisen. Wer ab und zu an der Präsentation der tagespolitischen Themen seine Zweifel hat, aber diese Zweifel angesichts einer erstaunlichen Gleichschaltung der Meinung erstickt fühlt, der wird dort immer wieder einen Lichtblick alternativer Perspektiven finden - auch zum sogenannten "Konsumwunder".

Nachtrag: Die Zahlen für Dezember 2010 sind inzwischen auch verfügbar. Real stieg der Umsatz im Einzelhandel 2010 gegenüber 2009 um 1,2%. Das geschah aber vor dem Hintergrund, dass der Umsatz 2009 gegenüber 2008 um 3,1% gesunken war. Der Einbruch der Krise ist also bei weitem noch nicht ausgeglichen. Gleichzeitig war der Umsatz im Dezember 2010 real um 1,3% niedriger als im Dezember 2009, und das obwohl der Dezember 2010 mehr Verkaufstage hatte. Mit anderen Worten: die Konsumlage in Deutschland ist katastrophal.