Dienstag, Februar 26, 2013

Sparen und Investitionen

Etwas vehement habe ich gestern einen Blogeintrag zum Thema Vollgeld kritisiert. Diese Kritik möchte ich detaillierter erläutern, was mich zu einer Auseinandersetzung mit den kausalen Verbindungen zwischen Sparen und Investition führen wird.

Vorweg zwei Punkte, die ich nicht kritisiere. Erstens ist meine Kritik keine Kritik am Vollgeld (was wiederum nicht heißt, dass ich Vollgeld ohne Vorbehalte unterstütze; aber das Thema ist komplex und verdient eine ausführlichere Auseinandersetzung in einem anderen Artikel). Zweitens bin ich durchaus glücklich darüber, dass jemand von der BaFin schreibt:
Banken "erschaffen" durch ihre Kreditschöpfung Geld - und zwar den überwiegenden Teil der Geldmenge. Vergibt eine Bank einen Kredit und schreibt den korrespondierenden Betrag dem Kreditnehmer auf seinem Konto gut, dann entsteht damit neues Giralgeld.
Aber damit kommen wir zur Kritik. Denn auf der anderen Seite schreibt er im gleichen Blogeintrag das Folgende:
[Die Banken] funktionieren durch ihr Kreditgeschäft als Finanzintermediäre, die eine effiziente Allokation der Ersparnisse für Investitionen sicherstellen.
Dieser Satz enthält viele Dinge, an denen ich teils sehr grundsätzliche Kritik üben würde, zum Beispiel am Stichwort "effizient".

Vor allem aber suggeriert er, dass Banken Ersparnisse einsammeln um es dann für Investitionen weiter verteilen zu können. Aber warum sollten sie das tun, wenn sie doch selbst Geld erschaffen können? Richtig, sie tun es nicht. Ersparnisse werden nicht für Investitionen alloziiert. Von daher ist der Satz schlicht falsch. Wahrscheinlich ist er das Resultat einer makroökonomischen Indoktrination, die durch den Sitz des Autors nahe am Zentrum des Geldwesens zwar aufgeweicht, aber noch nicht abgeworfen wurde.

Ich bin gegen solche Sätze besonders allergisch, weil sie im Kern der "intellektuellen" aber falschen Rationalisierung von Kürzungspolitik stehen. Diese beruht auf dem Glauben daran, dass sich Sparen über irgendwelche makroökonomischen Transmissionsmechanismen stark positiv auf Investitionen auswirkt.

In Wirklichkeit ist die Kausalität aber umgekehrt: Investitionen wirken sich tendenziell positiv auf Einkommen und Profite und deswegen auch tendenziell positiv auf Sparen aus (diese Einsicht geht wesentlich auf Kalecki zurück, siehe z.B. hier). Auf der anderen Seite sorgt ein makroökonomischer Transmissionsmechanismus dafür, dass sich Sparen tendenziell negativ auf Investitionen auswirkt.

Natürlich sind alle diese Kausalitäten nur Tendenzen, die situationsabhängig stärker oder schwächer ausfallen können.

Übrigens: Wenn ich von "Sparen" schreibe meine ich nicht nur den Fluss von Geld in das Sparschwein zu Hause oder das Sparbuch bei der Bank, sondern grundsätzlich Geldflüsse in jede Anlageform, bei der nicht real investiert wird (z.B. Kauf von Aktien oder Fondsanteilen).


Einzelwirtschaftliches Denken und die Gesamtwirtschaft

Sparen um zu investieren, das ist ein bekanntes Muster. Familien sparen, um sich eine größere Anschaffung leisten zu können. Ein potentieller Unternehmer spart womöglich, bevor er den Schritt in die Unternehmensgründung wagt. Dieses Verhalten ist real und sinnvoll, wobei man natürlich über die Worte streiten könnte. Spart der Unternehmer wirklich? Oder ändert er nicht in Wirklichkeit einfach sein Ausgabeverhalten von Konsum hin zu Investition, zumindest mittelfristig betrachtet? Aber lassen wir diese Wortklauberei einmal beiseite.

Das eigentliche Problem ist, dass diese einzelwirtschaftlichen Betrachtungen nicht auf die Gesamtwirtschaft übertragen werden können. Denn damit Sparen über gesamtwirtschaftliche Mechanismen einen positiven Effekt auf Investitionen haben kann, müsste sich das Sparen von Frau X und Herrn Y von nebenan positiv auf die Investitionsentscheidung eines Unternehmens irgendwo anders im Land auswirken können. Wie soll das gehen? Niemand in dem Unternehmen hat jemals von X und Y gehört!


Eine kurze Geschichte vom Zins

Oben habe ich geschrieben, dass Banken selbst Geld erschaffen können und deshalb nicht Ersparnisse einsammeln um sie als Kredite für Investitionen weiter verteilen zu können. Allerdings beobachten wir, dass Banken nicht nur Anlagemöglichkeiten für Ersparnisse anbieten, sondern dafür auch noch (Guthaben-)Zinsen bezahlen. Wie passt das zusammen?

Ganz einfach: Banken machen das, aber aus einem anderen Grund. Sie machen das nicht, um Kredite vergeben zu können, sondern um die mit der Kreditvergabe verbundenen Kosten zu minimieren. Denn es gibt durchaus noch ein paar Spielregeln, an die sich Banken halten müssen. Dazu gehört unter anderem, dass sie sich am Zahlungsausgleich bei Überweisungen zwischen Banken beteiligen und dementsprechend im Zweifelsfall refinanzieren müssen. Banken profitieren davon, dass sie sich bei Nichtbanken meist zu besseren Konditionen refinanzieren können als bei anderen Banken oder der Zentralbank.

Aber führt deshalb das Sparen von Frau X und Herrn Y von nebenan dazu, dass ein Unternehmen irgendwo anders im Lande sich dazu entschließt, einen Investitionskredit aufzunehmen, und diesen von einer Bank auch zugestanden bekommt? Sicherlich nicht direkt.

Es gibt einen indirekten Transmissionsmechanismus, der prinzipiell funktionieren könnte. Wenn mehr Menschen sparen wollen, so die Überlegung, dann sinkt der Refinanzierungsdruck für Banken, weshalb diese weniger Guthabenzinsen zahlen müssen. Das könnte zu einem Wettbewerb zwischen Banken führen, der auch den verlangten Kreditzins senkt. Die niedrigeren Kreditzinsen könnten Menschen dazu ermutigen, Investitionen zu tätigen.

Dieser Mechanismus ist zunächst plausibel. Die Frage ist, wie stark er wirkt. Da muss man zunächst einmal feststellen, dass die endogenen Zinsschwankungen sowieso politisch beschränkt werden: die Zentralbank steuert den Zinssatz für kurzfristige Kredite, der sich natürlich mittelfristig auch auf den Zinssatz für langfristige Kredite auswirkt. Die absolute Größe der Zinsschwankungen ist daher ohnehin sehr klein. Und wie groß ist der Einfluss von Zinsen auf Investitionsentscheidungen überhaupt? Wird ein Prozentpunkt Unterschied in Kreditzinsen nicht sowieso von Faktoren wie dem unternehmerischen Risiko, oder dem Risiko, dass der Zinssatz in Zukunft wieder steigt, dominiert?


Die Nachfrageseite

Damit die Zinsen bei unveränderter Geldpolitik durch Sparen spürbar sinken können müssen viele Menschen ihr Ausgabeverhalten deutlich ändern (oder weniger Menschen noch deutlicher). Konkret müssen sie ihre Ausgabegeschwindigkeit (gemessen in Euro pro Tag oder Monat) deutlich reduzieren. Das bedeutet aber, dass Verkäufer deutlich geringere Einnahmeströme sehen. In der Folge werden sich Unternehmen die Frage stellen, ob sich Investitionen überhaupt noch lohnen, wenn weniger verkauft werden kann - und Familien werden sich die Frage stellen, ob in Zeiten großer Unsicherheit am Arbeitsmarkt ein Hausbau wirklich das Richtige ist.

Das ist der makroökonomische Transmissionsmechanismus, über den Sparen dazu führt, dass weniger investiert wird.

Die eigentliche Frage die beantwortet werden muss ist daher: Welcher der beiden Mechanismen ist stärker? Zumindest in der heutigen Zeit, in der das Zinsniveau sowieso schon extrem niedrig ist und Investitionen begünstigen sollte, aber Investitionen angesichts niedriger Nachfrage trotzdem schwächeln, hat die Frage doch recht rhetorischen Charakter.


Fazit

Aus makroökonomischer Perspektive ist Sparen tendenziell schädlich. Das gilt ganz besonders in der aktuellen Situation. Ungeachtet dessen gilt:
  • Wer "spart", um persönlich in das eigene Unternehmen oder den eigenen Hausbau zu investieren, der spart nicht im makroökonomischen Sinne. Deswegen trifft das Fazit auf diesen Fall nicht zu.
  • Ersparnisse können ökonomische Sicherheit und Freiheit ermöglichen. Von daher kann Sparen aus der persönlichen Perspektive auch dann sinnvoll sein, wenn man keine konkrete Investition plant.
  • Deswegen sollte der Staat eine Wirtschaftspolitik verfolgen, die jedem Menschen das Sparen ermöglicht, aber gleichzeitig die dadurch potentiell entstehenden makroökonomischen Schäden vermeidet (mein persönlicher Favorit ist bekannt).
  • Dies ist möglich und angemessen, weil ein monetär souveräner Staat nicht den gleichen Handlungsbeschränkungen unterliegt wie private Akteure, und deshalb als Symmetrie brechender Stabilisator handeln kann und sollte.