Freitag, September 30, 2011

Die Schock-Strategie, und wie es anders geht

Es ist der Klassiker schlechthin: eine Wirtschaftskrise wird von den Reichen verwendet, um Klassenkampf zu betreiben.

Stellvertretend untertitelt zum Beispiel Nikolaus Piper in der SZ am 29.9. das "Thema des Tages" wie folgt:

Mit der Schuldenkrise verliert Europa seine Rolle als Vorbild: Das Modell des Sozialstaats gerät in Misskredit

Auch im Rest des Artikels wird insinuiert, dass die aktuelle Schuldenkrise in der Eurozone irgendwas mit den sowieso schon zurückgefahrenen Sozialstaaten in Europa zu tun habe. Unsere neoliberale Elite frohlockt über die Gelegenheit, unter diesem und ähnlichen Vorwänden die sozialen Netze weiter zu zerfleddern und die wirtschaftlichen Ungleichheiten zu vergrößern.

Aber was ist die Wahrheit? Lassen wir uns einmal aus der Perspektive von Modern Monetary Theory zusammenfassen:

  1. Der private Sektor will netto finanzielles Vermögen sparen, sei es aus reiner Lust am Horten, zum Aufbau einer "Kriegskasse" im Fall von Unternehmen, oder für die Altersvorsoge (übrigens, zum Thema Vermögen: ein Blick auf die Vermögensuhr kann ab und zu nicht schaden).

    Finanziellem Vermögen muss per Definition immer irgendwo eine finanzielle Schuld gegenüberstehen. Wenn der private Sektor netto im Plus sein soll, dann muss rein rechnerisch entweder das Ausland oder der Staat im Minus sein. Staatsschulden sind also zunächst einmal eine gute Sache, weil sie den Aufbau von privatem Geldvermögen ermöglichen.

  2. In jedem gut funktionierenden Geldsystem gibt es genau einen großen Herausgeber von öffentlichen Anleihen - und zwar die Regierung, die das jeweilige Geldsystem betreibt. In den USA ist das deren Bundesregierung, in Schweden ist es die Regierung in Stockholm, und so weiter. Der Rest der öffentlichen Anleihen, der von Kommunen und Bundesländern herausgegeben wird, macht einen deutlich kleineren Teil aus. Zudem greift die jeweils nächstgrößere Instanz im Zweifelsfall helfend unter die Arme. Beides sorgt für Stabilität.

  3. In der Eurozone gibt es im Gegensatz dazu 17 konzeptionell gleichrangige Herausgeber von öffentlichen Anleihen. Deshalb war die Eurozone von Anfang an labil.

    Sobald hinreichend große Anleger einen Anlass sehen, ihr Vermögen von einem Herausgeber von Anleihen zu einem anderen zu verschieben, lösen sie dadurch eine Änderung der Preise der Anleihen und damit der Yields aus. Dadurch muss dann der betroffene Staat auf neue Anleihen einen höheren Zinssatz bezahlen. Das wiederum erhöht dessen Defizit, und es wird von höheren Ausfallwahrscheinlichkeiten gemunkelt. Das wiederum ist für Anleger ein neuer Anlass, ihr Vermögen von den Anleihen dieses Staates hin zu einem anderen Herausgeber von Anleihen zu verschieben, und der Kreis schließt sich.

    Ein anfänglicher Impuls kann also in einen Teufelskreis ausarten, für den es keine Dämpfung gibt. Der erste größere Schock, den die Eurozone erlebt hat, hat genau diese Dynamik losgetreten.
Dieser grundlegende Konstruktionsfehler der Eurozone hat überhaupt nichts mit dem Sozialstaat zu tun, das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Aber diese Feststellung reich nicht aus. Wenn man immer nur gegen einen Mythos wettert (in diesem Fall der Mythos, der Sozialstaat habe zur Eurokrise geführt) gibt man ihm womöglich nur noch mehr Brennstoff.

Eine positive Botschaft muss also auch sein. Wie kann man den grundlegenden Konstruktionsfehler wirklich beheben?

  1. Da das eigentliche Problem ist, dass dem Großteil des privaten finanziellen Vermögens heutzutage Anleihen von 17 verschiedenen Herausgebern gegenüberstehen, muss zukünftig eben ein großer, zentraler Herausgeber diese Rolle übernehmen. Es kann sich dabei um europäische Anleihen handeln, es könnten aber auch einfach Passiva der EZB sein (also Reserven).

    Ja, richtig, es ist durchaus plausibel, dass zukünftig der größte Teil des Netto-Geldvermögens in Form von Reserven bei der EZB gehalten wird anstatt in Anleihen. Immerhin bezahlt die EZB auch Zinsen auf Reserven, der Unterschied zu Anleihen ist also ohnehin eher oberflächlich.

  2. Der zentrale Unterschied zwischen diesem Vorschlag und Eurobonds ist, dass bei Eurobonds nach wie vor die Euro-Staaten Schuldner sind. Ich dagegen bevorzuge den Weg der weitgehenden Entschuldung der Euro-Staaten ohne Zahlungsausfall, bei dem die Schulden einfach in eine zentrale Bilanz verschoben werden, weil das ehrlicher und einfacher ist.

    Außerdem erleichtert es den Weg hin zum Aufbau einer fiskalpolitisch schlagkräftigen Gemeinschaftsregierung. Ohne eine solche Regierung ist es schwierig, die Wirtschaftskrise, die sich unter der Schuldenkrise versteckt, zu bekämpfen.

  3. Auf dem Weg hin zu diesem Ziel gibt es zwei große Fragen. Erstens: Wie gelingt die Umstellung? Zweitens: Wenn die Umstellung erst einmal gelungen ist, wie kann dann dafür gesorgt werden, dass es auch so bleibt?

  4. Die Umstellung gelingt, indem man Schritt für Schritt beim Rollover der Staatsschulden diese nicht durch neue Staatsanleihen ersetzt. Bisher läuft der Rollover so: alte Anleihen laufen aus und werden durch den jeweiligen Staat zurückgezahlt. Ungefähr gleichzeitig werden in einer Auktion neue Anleihen ausgegeben.

    Dieser Prozess wird ersetzt durch: alte Anleihen laufen aus und werden mit Geld zurückgezahlt, das direkt von einer Euro-zentralen Instanz überwiesen wird. Diese Euro-zentrale Instanz könnte zum Beispiel die EZB sein, die die nötigen Reserven einfach "per Knopfdruck" bereitstellt.

    Natürlich muss irgendwie dafür gesorgt werden, dass das gerecht abläuft, zum Beispiel indem das Volumen für diesen neuen Prozess auf einen bestimmten Betrag pro Kopf beschränkt wird (ein Bezug auf das BIP wäre gegenüber den Menschen in wirtschaftlich schwächeren Staaten ungerecht).

  5. Stellen wir uns nun eine hypothetische Zukunft vor, in der sagen wir 70% der öffentlichen Schulden durch eine zentrale Instanz herausgegeben werden. Wie kann dafür gesorgt werden, dass das so bleibt?

    Der private Sektor will typischerweise netto finanzielle Vermögen aufbauen. Langfristig ist es schwierig, dies gegenüber dem externen Sektor zu tun. Also müssen die öffentlichen Schulden langfristig steigen, und 70% der Neuschulden müssen von der zentralen Instanz kommen, um den Status Quo zu erhalten. Aber wer entscheidet, wie viel und wofür das Geld, das diesen Schulden gegenübersteht, ausgegeben werden soll?

    Ich denke, dass dies letztlich höchst politische Entscheidungen sind und sein müssen. Automatismen, zum Beispiel solche die ans BIP gekoppelt sind, taugen wenig. Schließlich sind 3% Defizit bezogen aufs BIP in vielen Staaten heute viel zu wenig, während prinzipiell - in ferner Zukunft - Zeiten auf uns zukommen könnten, in denen bereits ein ausgeglichener Haushalt gegen die Inflationsbarriere stößt, und ein staatlicher Überschuss wirtschaftlich am sinnvollsten wäre.

    Es sind also politische Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen, die der entsprechenden Legitimation bedürfen. Ja, ich wiederhole mich, aber im Grunde darf diese Macht nur beim Europäischen Parlament (evtl. beschränkt auf MEPs aus der Eurozone) liegen. Dieses kann dann die politische Entscheidung treffen, entweder selbst Geld auszugeben, oder Geld an die Mitgliedsstaaten zu verteilen, damit diese das notwendige Defizit erzielen können, ohne dass es zu Ungleichgewichten bei der Zusammensetzung der öffentlichen Schulden kommt.

  6. Ach ja, und lasst gefälligst den Internationalen Währungsfonds aus dem Spiel. Einmischung durch den IWF hat noch niemandem wirklich gut getan. Er hat keine Legitimation, um in der Eurozone mitzumischen, und wir brauchen ihn auch nicht.
Es gibt noch mehr zu tun, als ich angesprochen habe. Mit einer Umstrukturierung der öffentlichen Schulden kann nämlich die zugrunde liegende Wirtschaftskrise nicht beendet werden. Dafür muss das deutsche Lohndumping beendet werden, und die Eurozone braucht einen kräftigen Konjunkturimpuls, zum Beispiel über eine Job-Garantie. Genauso ist es eine gute Idee, die Umverteilung von Einkommen und Vermögen wieder etwas zurück zu drehen, indem stark progressive Einkommenssteuern (auch auf Kapitalerträge!) und Vermögenssteuern eingeführt oder ausgeweitet werden. Aber diese Maßnahmen alleine können den fundamentalen Konstruktionsfehler der Eurozone eben auch nicht beheben: es braucht beides.

Am wichtigsten aber bleibt, dass wir denjenigen, die die Schuldenkrise nutzen wollen, um den Sozialstaat abzubauen, Paroli bieten. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, und diese so sinnvolle und hart erkämpfte Institution muss erhalten bleiben.

Montag, September 19, 2011

Die Job-Garantie: Kernstück einer alternativen Wirtschaftspolitik

Ich möchte heute ein wenig bekanntes Konzept vorstellen, das seit der Mitte des letzten Jahrhunderts in der ein oder anderen Form durch die Volkswirtschaftslehre geistert und in den letzten zwanzig Jahren einen deutlichen Entwicklungsschub erhalten hat. Es handelt sich um die Job Guarantee, wie sie unter anderem in Understanding Modern Money von Randall Wray ausführlich vorgestellt wird. Vom gleichen Autor gibt es auch ein neueres Working Paper, das einen kurzen Überblick über die Literatur gibt. Aber zunächst hole ich ein wenig aus, um die Motivation zu erklären.

Massenarbeitslosigkeit entsteht durch mangelnde Nachfrage. Wenn das Geschäft in der Kneipe so richtig gut läuft, dann wird eine zusätzliche Bedienung eingestellt. Wenn ein Produkt gut läuft, dann wird mit Neueinstellungen die Produktion ausgeweitet. Umgekehrt wirkt die gleiche Logik. Schwinden der Kneipe die Besucher weg, dann wird irgendwann das Personal gekürzt. Genauso läuft es in der Produktion.

Es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Wenn die Produktivität, also die Menge pro Arbeitsstunde real erzeugter Güter und Dienstleistungen, steigt, dann kann die gleiche Nachfrage mit weniger Arbeitnehmern bedient werden. Produktivitätssteigerungen sind eine gute Sache, aber sie bedeuten eben auch, dass die (reale) Nachfrage gleich schnell wie die Produktivität wachsen muss, wenn die Anzahl der Arbeitsplätze gleich bleiben soll. Wächst die reale Nachfrage langsamer, oder sinkt sie gar, so gehen Arbeitsplätze verloren. Wächst sie schneller, so können neue Arbeitsplätze entstehen.

Sowohl die Nachfrage als auch die Produktivität sind aggregierte Größen unserer Volkswirtschaft, eines extrem komplexen dynamischen Systems. Dass darin zyklische Schwankungen entstehen ist ganz natürlich, und es gibt keinen Grund, weshalb die reale Nachfrage immer von alleine mit genau der richtigen Geschwindigkeit wachsen sollte.

Die Arbeitslosen sind ein Puffer gegen diese Schwankungen. Geht die Nachfrage zurück, so wächst der Puffer an Arbeitslosen. Wenn die Nachfrage wieder steigt, dann können Firmen aus diesem Pool heraus Menschen einstellen.


Arbeitslosigkeit ist ein schlechter Puffer

Arbeitslosigkeit ist aus einer ganzen Reihe an Gründen für die Gesellschaft nicht wünschenswert.

Erstens ist Arbeitslosigkeit für die Betroffenen ein schwerer Schlag, sowohl wirtschaftlich als auch psychisch. Die Arbeitslosen als Gruppe sind nicht für ihr Schicksal verantwortlich, da hohe Arbeitslosigkeit ein makro-ökonomisches Phänomen ist. Es liegt also in der Verantwortung der Gesellschaft, an dieser Stelle zu helfen.

Zweitens ist Arbeitslosigkeit verschwendetes Potenzial. Eine Gesellschaft, die Menschen keine Möglichkeit gibt, einer produktiven Tätigkeit nachzugehen, nimmt damit eine geringere Wirtschaftsleistung und einen niedrigeren Lebensstandard insgesamt in Kauf.

Drittens bedeutet Arbeitslosigkeit in der Praxis heutzutage überall auch, dass viele Menschen über einen sehr langen Zeitraum arbeitslos sind. In dieser Zeit kommen sie aus der Übung, und dadurch gehen Fähigkeiten verloren. Arbeitslosigkeit verschwendet Potenzial also nicht nur, sie zerstört es auch und reduziert damit die Fähigkeit der Gesellschaft, zukünftige Probleme zu lösen.

Viertens verteilt sich Arbeitslosigkeit nicht gleichmäßig, sondern betrifft verschiedene Regionen und soziale Milieus unterschiedlich hart. So bedeutet eine Arbeitslosenrate von 10% eben auch, dass es einzelne Milieus gibt, in denen die Rate über einem Drittel liegt. Das hat Folgen für die soziale Realität dieser Milieus. Es ändert zum Beispiel die persönlichen Einstellungen gegenüber Arbeit und Arbeitslosigkeit, was in einen Teufelskreis führen kann. Zudem verarmt das Milieu und wird zur Brutstätte für Kriminalität, Gewalt, und Unruhen aller Art.


Die Job-Garantie: ein besserer Puffer

Genau hier haben Ökonomen wie Bill Mitchell und Randall Wray angesetzt und die Job-Garantie als bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit entwickelt.

Kurz zusammengefasst sieht sie so aus: ein Regierungsprogramm wird eingerichtet, das jedem arbeitswilligen und -fähigen Bürger einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt. Dieser Arbeitsplatz wird zu einem gesetzlich festgelegten Lohn bezahlt und verlangt dem Arbeitnehmer eine mit anderen Arbeitsplätzen vergleichbare Leistung ab. Er ist unbefristet und für jeden ohne Malträtierung durch Arbeitsagenturen zugänglich. Die Arbeitsplätze decken gesellschaftliche Aufgaben ab, wobei die genaue Zuteilung immer auch eine politische Entscheidung ist.

Dieses Programm ersetzt die Arbeitslosigkeit als Puffer. Wenn die private Wirtschaft schlecht läuft und Arbeitsplätze abschafft werden die Arbeiter aufgefangen. Sie erhalten weiterhin ein (wenn auch reduziertes) Einkommen in einem sozialversicherungspflichtigen Job und können einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Wenn die private Wirtschaft wieder an Geschwindigkeit gewinnt und neue Arbeitsplätze schafft, kann sie Arbeiter aus dem Pool der Job-Garantie abwerben.

Zudem holt die Job-Garantie die Arbeitnehmer dort ab, wo sie mit ihren Fähigkeiten stehen, beinhaltet aber auch begleitende Fortbildungen. Diese sind den heutigen Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen überlegen, weil sie mit einer echten Arbeit in Verbindung stehen und damit nicht nur sinnlose Beschäftigungstherapie sind. Anstatt in Zeiten der Arbeitslosigkeit wichtige Fähigkeiten zu verlieren kann also im Idealfall sogar das Gegenteil geschehen.

Das hat einen weiteren Vorteil. Private Firmen haben eine natürliche Abneigung dagegen, Arbeitslose einzustellen. Einerseits lautet das Vorurteil, dass Arbeitslose grundsätzlich weniger zur Arbeit fähig oder willens sind (ein jeder möge sich selbst überlegen, wie viel er von diesem Vorurteil hält). Andererseits haben Arbeitslose per Definition keinen Arbeitgeber, der ihnen ein Zeugnis ausstellen könnte. In der Job-Garantie haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, ihre Leistung klar zu demonstrieren, und so sind private Arbeitgeber besser in der Lage, die Leistung der Kandidaten einzuschätzen. Etwaige angebotsseitige Hürden zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft werden also kleiner.

Es ist leicht zu sehen, dass die Job-Garantie in jedem der oben genannten vier Punkte gegen die Arbeitslosigkeit gewinnt.

Erstens wird der persönliche Schock der Arbeitslosigkeit gedämpft. Der Lohn wird in der Job-Garantie zwar in der Regel geringer sein als an einem privatwirtschaftlichen Arbeitsplatz, aber zumindest bleibt ein geregeltes, reguläres Arbeitsverhältnis bestehen.

Zweitens wird den heutigen Arbeitslosen eine für die Gesellschaft sinnvolle Tätigkeit gegeben. Selbst wenn rein markwirtschaftlich gesehen die ein oder andere individuelle Job-Garantie-Stelle nicht so produktiv sein sollte wie die ein oder andere Stelle in der Privatwirtschaft gilt immer noch ein ganz einfaches Prinzip: fast alles ist produktiver als Nichtstun. Und abgesehen davon: sobald die Privatwirtschaft sich berappelt und wieder Arbeitsplätze schafft, kann sie die Job-Garantie-Nehmer leicht abwerben. Die Job-Garantie tritt nicht mit der Privatwirtschaft in Konkurrenz.

Drittens können Arbeitnehmer in der Job-Garantie ihre Fähigkeiten erhalten und sogar weiter ausbauen.

Viertens kann die Leichtigkeit, mit der ein Arbeitsplatz in der Job-Garantie erhalten werden kann, auch die Entwicklung von sozial abgehängten Milieus positiv beeinflussen. Menschen werden wieder in reguläre Arbeitsverhältnisse eingebunden und finden so leichter zum Rest der Gesellschaft zurück.


Wo sollen die ganzen Arbeitsplätze herkommen?

In der Eurozone sind mehr als 15 Millionen Menschen arbeitslos. Es ist sinnvoll, groß angelegte zentrale Projekte zum Aufbau von Infrastruktur für die Zukunft zu starten, um so Arbeitsplätze zu schaffen. Aber der wahre Schlüssel zum Erfolg liegt in einer dezentralen Organisation.

Dazu wird jedem Land, jeder Kommune, und auch qualifizierten Non-Profit-Organisationen die Möglichkeit gegeben, Job-Garantie-Stellen auszuschreiben. Solange die zentral festgelegten Richtlinien eingehalten werden, werden die Stellen zu 100% über das Job-Garantie-Programm finanziert und schonen damit die ohnehin gestressten Haushalte von Kommunen und Ländern. Eine solche dezentrale Organisation kann effizient und unbürokratisch arbeiten. Es versteht sich natürlich von selbst, dass die Einhaltung der Spielregeln mit regelmässigen, aber unangekündigten Stichproben kontrolliert wird.

In den ersten Jahren mit der Job-Garantie werden wir Erfahrungen sammeln, die nicht vorhergesagt werden können. Es besteht aber kein Zweifel, dass genügend sinnvolle Projekte existieren um Arbeitsplätze zu schaffen. Ein jeder mag sich seine Lieblingsbeschwerde in Sachen Mängel in Infrastruktur oder öffentlichen Diensten überlegen und dies mit der gesamten Eurozone multiplizieren. Gerade die Einbindung von lokalen Organisationen hilft ja dabei, dass nicht (nur) die Prestigeprojekte von Europa-Politikern in Angriff genommen werden, sondern ganz konkrete Probleme vor Ort. Davon gibt es wahrlich genügend.


Wie soll das alles bezahlt werden?

Eigentlich könnte jede Regierung, selbst auf kommunaler Ebene, eine Job-Garantie einführen. Allerdings besteht die Gefahr, dass es zu finanziellen Engpässen kommt wenn das Land, das die Job-Garantie einführt, ein Leistungsbilanzdefizit hat. Gerade für die am härtesten von Arbeitslosigkeit betroffenen Länder, wie zum Beispiel Spanien, wäre es also besonders schwierig, die Job-Garantie wirklich durchzusetzen.

Deswegen soll sie von einer Regierung eingeführt werden, die im Sinne der Modern Monetary Theory monetär souverän ist, also eine eigene Währung mit flexiblen Wechselkursen ausgibt. Diese Regierung kann dann, ungestört durch irrationale Märkte, die notwendigen Ausgaben zur Bezahlung der Löhne einfach so tätigen.

An dieser Stelle geraten viele Menschen in die Nähe des Herzinfarkts. Zumindest fangen sie an, zu hyperventilieren. Das wäre doch Geld drucken! Dann gibt es Hyperinflation! Die Welt geht unter!

Natürlich haben die Entwickler der Job-Garantie diese Problematik bedacht. Im Gegensatz zu anderen möglichen Konjunkturprogrammen sagt die Job-Garantie nicht "Wir wollen X Bahnhöfe bauen, koste es was es wolle". Bei dieser Herangehensweise bestünde tatsächlich die Gefahr, dass Engpässe auf der Angebotsseite überlastet und Preise nach oben gedrückt werden. Stattdessen sagt die Job-Garantie: "Jeder der will, kann für Y Lohn eine Arbeit bekommen". Da dieses Y gesetzlich festgelegt ist, kann der Preis der Arbeit durch die Job-Garantie gar nicht weiter nach oben gedrückt werden. Wenn aber der Preis der Arbeit nicht nach oben gedrückt wird, dann bleiben auch weitere Effekte auf Preise in der Wirtschaft insgesamt aus. Zur Inflation kommt es also nicht.


Marktwirtschaftlich durchgesetzte Mindeststandards

Eines ist bezüglich des Preis der Arbeit aber auch klar. Der von der Job-Garantie bezahlte Lohn wird de facto zum Mindestlohn. Das Elegante dabei ist, dass es sich nicht um einen gesetzlichen Mindestlohn handelt. Stattdessen erklärt sich die Regierung über das Job-Garantie-Programm bereit, beliebig viele Arbeitsstunden zu einem festen Preis zu kaufen. Alles weitere regelt der Markt.

An einigen Stellen wird deshalb auch von einem "Job-Standard" gesprochen, im Kontrast zum Gold-Standard. Beim Gold-Standard fixiert die Regierung den Preis von Gold. Mit dem "Job-Standard" fixiert die Regierung den Preis von ungelernter Arbeit. Im Gegensatz zum gesetzlichen Stundenlohn ist es dabei als Ergebnis des Marktes durchaus denkbar, dass einige besonders attraktive Stellen geringer entlohnt werden.

Dieser Effekt kann auch für andere normative Zwecke genutzt werden. Wenn die Regierung der Ansicht ist, dass jenseits des Lohns zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers zum Mindeststandard eines jeden Arbeitsplatz gehören sollte (seien es Weiterbildungsangebote, Kinderbetreuung, längerer Urlaub, etc.), dann kann sie diese Leistungen zunächst Job-Garantie-Nehmern anbieten. Dadurch übt sie marktwirtschaftlichen Druck auf private Arbeitgeber aus, mit vergleichbaren Angeboten nach zu ziehen, ohne dabei auf komplexe Regulierungen zu setzen.


Die Job-Garantie und der private Sektor

Die Einführung der Job-Garantie sagt nichts darüber aus, wie groß der Anteil des Staates an der Wirtschaft insgesamt sein soll. Auch nach der Einführung der Job-Garantie bleibt es das Ziel, die Beschäftigung im privaten Sektor zu erhöhen.

Die Job-Garantie springt aber ein, wenn der private Sektor versagt. Auch mit der Job-Garantie muss es nach einem Abschwung das wirtschaftspolitische Ziel sein, die Privatwirtschaft wieder auf Trab zu bringen. Aber bis das gelingt vergeht in der Regel ein längerer Zeitraum. Aktuell versagt die Privatwirtschaft sogar seit über 30 Jahren dabei, genügend Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht einfach darum, diesen Zeitraum zu überbrücken, indem die negativen Folgen der Arbeitslosigkeit durch die positiven Effekte der Job-Garantie ersetzt werden.

Auch die aktuelle Eurokrise zeichnet sich letztendlich vor allem dadurch aus, dass es den Mechanismen in der Privatwirtschaft nicht gelingt, die produktiven Kapazitäten unserer Gesellschaft vollständig zu nutzen - die hohe Arbeitslosigkeit ist nur eines von mehreren Indizien dafür. Die Scharmützel, über die in den Medien berichtet wird, sind zum größten Teil nur Symptome. Eine Euro-weite Job-Garantie würde viele unserer Probleme von der Wurzel her lösen. In wie weit sie politisch realisierbar ist ist aber eine andere Geschichte, und die soll ein andermal erzählt werden.

Samstag, September 17, 2011

Modern Monetary Theory - eine Zwischenbilanz

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ich auf die Modern Monetary Theory gestoßen. Das war eine großartige Erfahrung, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben den Eindruck hatte, dass hier wirklich jemand von Grund auf erklärt, wie unser Geldsystem tatsächlich funktioniert, ausgehend davon, welche Transaktionen die Zentralbanken und Geschäftsbanken dieser Welt tagtäglich durchführen. Was ist Geld eigentlich? Woher kommt es? Auf Fragen dieser Art hat MMT sehr klare und plausible Antworten. Es war, als würde ein Schleier von meinen Augen entfernt.

Meinen ersten Kontakt und erste Erkenntnisse daraus habe ich daraufhin in diesem Blog dokumentiert (#1, #2, #3). In diesen ersten Einträgen ist auch noch Skepsis zu erkennen, denn tatsächlich ist MMT immer noch eher eine Randerscheinung. In der Zwischenzeit habe ich weiter nach Lücken im Gebilde gesucht, und dabei viel gelernt und auch viele Flamewars mit erlebt. Inzwischen hat sich meine Überzeugung aber gefestigt, dass MMT die richtige Sichtweise auf makro-ökonomische Zusammenhänge liefert.

Es sind dann noch eine Reihe weiterer Einträge gefolgt, z.B. über Arbeitslosigkeit (#1, #2, #3) und über die Zusammenhänge in der Eurozone (#1, #2). Viele dieser Einsichten sind nicht exklusiv der MMT zuzuordnen, sondern kommen aus einem insgesamt besseren Verständnis der makro-ökonomischen Zusammenhänge.

Ich will nun einmal Zwischenbilanz ziehen, indem ich noch einmal explizit auf einige besonders hilfreiche Quellen zum Einstieg in MMT verlinke.
Zu jeden dieser Seiten gehört auch jeweils ein Blog, in dem Vertreter von MMT schreiben, teilweise mit wissenschaftlichem Hintergrund, teilweise aus Laienperspektive. Ich wünsche viel Spaß und Aha-Effekt beim Lesen!

Donnerstag, September 15, 2011

Woher kommt Massenarbeitslosigkeit?

Vor einiger Zeit habe ich über einige Aspekte dessen geschrieben, wie man mit Arbeitslosigkeit umgehen soll. Aber woher kommt Arbeitslosigkeit eigentlich? Diese harmlos wirkende Frage ist, zusammen mit der ebenso harmlos wirkenden Frage danach, wo eigentlich Profite herkommen, konstituierend für die Makro-Ökonomie als eigenständiges Forschungsgebiet. Das Gesamtsystem verhält sich nämlich eben nicht so wie ein mikro-ökonomischer Haushalt, der auf größere Dimensionen aufgeblasen wird.

In grauer Vorzeit gab es keine Arbeitslosigkeit. Jeder konnte sich im Zweifelsfall selbst mit Jagd oder Ackerbau beschäftigen. Selbst die Expansion der Siedler in Nordamerika kann man aus dieser Perspektive heraus noch als Flucht vor der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit betrachten. Heutzutage funktioniert das nicht mehr so, und zwar nicht nur, weil die meisten von uns vom Ackerbau keine Ahnung mehr haben. Selbst wer das nötige Wissen besitzt kann nicht einfach auf eigene Faust Ackerbau betreiben, weil die geeigneten Grundflächen alle schon vergeben sind. Dies ist der erste Schritt zum Verständnis von Arbeitslosigkeit als Massenphänomen: Wenn die Besitzer der Produktionsmittel nicht genügend Arbeiter einstellen, dann entsteht Arbeitslosigkeit.

Wer hier mit der Analyse aufhört greift aber zu kurz. Erstens gibt es in unserer heutigen Wirtschaft mit ihrem sehr großen Dienstleistungssektor viele Arbeitsplätze, die wenig kapitalintensiv sind. Es wäre denkbar, dass Arbeitslose sich die notwendigen Produktionsmittel zumindest in diesen Bereichen einfach selbst besorgen, und das geschieht auch regelmäßig. Aber es reicht offenbar nicht aus.

Zweitens hilft eine Verteufelung der Besitzer der Produktionsmittel auch nicht weiter. Wenn sie keine zusätzlichen Arbeiter einstellen geschieht das ja in der Regel nicht aus Boshaftigkeit. Wenn ein Unternehmer die Möglichkeit hätte, durch Verdoppelung der Belegschaft die Produktion und den Absatz zu verdoppeln und so nach Berücksichtigung der Fixkosten und Economies of Scale den Gewinn mehr als zu verdoppeln, dann würde er das natürlich tun. Aber der Absatz lässt sich eben nicht unbedingt verdoppeln, und hier liegt der Hund begraben: Wenn die effektive Gesamtnachfrage zu gering ist, dann entsteht Arbeitslosigkeit.

Übrigens: wenn die Produktivität steigt - also die pro Arbeitsstunde produzierten Güter und Dienstleistungen - dann muss die effektive Gesamtnachfrage genauso schnell steigen, damit die Anzahl der Arbeitsplätze gleich bleiben kann.

Allerdings wächst die Gesamtnachfrage nicht immer mit dem "richtigen" Tempo. Mal wächst sie schneller (dann können Arbeitsplätze entstehen), und mal wächst sie langsamer oder geht sogar zurück. Das sind ganz normale zyklische Bewegungen, wie sie in komplexen dynamischen Systemen zwangsläufig auftreten, wenn nicht dagegen gesteuert wird.


Die anderen Theorien

Ich will nicht verschweigen, dass es noch eine andere Familie an Erklärungsansätzen für Arbeitslosigkeit gibt. In den Medien wird uns ständig implizit erzählt, es gebe Arbeitslosigkeit, weil die Arbeitslosen wahlweise zu dumm oder zu faul sind oder nicht die passenden Qualifikationen haben. Es wird niemanden überraschen, dass ich das für Unsinn halte, und zwar aus einer ganzen Reihe an Gründen.

Zum einen entstammen diese Theorien einer verengten, mikro-ökonomischen Weltsicht. In der Tat ist es so, dass ein einzelner Arbeitsloser, nennen wir ihn A, seine persönlichen Einstellungschancen verbessern kann, indem er an seinen Qualifikationen arbeitet. Wenn er sich, zusammen mit einem Dutzend anderen, auf eine neue Stelle bewirbt, und er leider nur die zweite Wahl war hinter B, dann hätte ihm die Fortbildung vielleicht dabei geholfen, an die erste Stelle zu rücken. Nur: in dem Fall wäre dann eben nicht mehr A, sondern B weiterhin arbeitslos. An der Gesamtzahl der Arbeitsplätze, und damit der Gesamtzahl der Arbeitslosen, ändert sich dadurch ja nichts. Massenarbeitslosigkeit ist ein makro-ökonomisches Phänomen, an dem der Einzelne nichts ändern kann. Die "Tale of 100 Dogs and 95 Bones" veranschaulicht dies sehr schön.[1]

Zum anderen stimmen diese Theorien nicht mit der beobachteten Realität überein. Die Arbeitslosenquote reagiert mit leichter Verzögerung tatsächlich auf Schwankungen in der Nachfrage. Wer glaubt, man könne dies dadurch erklären, dass die Menschen plötzlich dümmer und/oder fauler werden, oder von heute auf morgen nicht mehr die richtigen Qualifikationen haben wenn die Nachfrage sinkt, der leidet an einem klaren Realitätsdefizit. Eine veränderte Einstellung zur Arbeit kommt höchstens als Folge von langfristiger Arbeitslosigkeit in Frage, nicht aber als deren Ursache, wie ich hier argumentiert habe.

Ein weiterer Sargnagel für diese Theorien ist, dass sie in praktisch allen westlichen Ländern in den letzten 15 Jahren als Begründung zum Umbau der Arbeitsmärkte hergehalten haben. Aber ohne Erfolg: Massenarbeitslosigkeit gehört immer noch zu unserer gesellschaftlichen Realität. Dies steht in klarem Gegensatz zu den Nachfrage-orientierten Theorien, deren Anwendung nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen westlichen Ländern - auch solchen, die nicht durch den Krieg zerstört wurden - zu Arbeitslosenquoten unter 2% geführt haben.

Ich will dabei gar nicht behaupten, dass die mikro-ökonomischen Überlegungen vollkommen falsch sind. Sie helfen nur nicht dabei, die heutige Massenarbeitslosigkeit zu erklären.

Zum Beispiel beim Thema Qualifikationen. Es ist ja durchaus richtig, dass Verschiebungen in der Zusammensetzung der Wirtschaft auch eine Verschiebung der benötigten Qualifikationen bedeutet. Diese erreicht man aber nicht durch sinnlose Maßnahmen von Arbeitsagenturen, sondern nur, indem man den Menschen eine Weiterbildung in Verknüpfung mit einer echten Arbeit gibt.

Dies spricht für die Betonung der Rolle der Nachfrage. Wenn die Nachfrage nur hoch genug ist, dass Firmen einfach mehr qualifizierte Arbeitnehmer benötigen, dann werden sie die entsprechenden Bildungsmaßnahmen selbst in die Hand nehmen. Solange sich die Nachfrage nur schleppend entwickelt bleibt es bei Lippenbekenntnissen auf Sonntagsreden.

Es liegt auf der Hand: Steht die Wirtschaft ordentlich unter Dampf und läuft gut warm, dann ist sie anpassungsfähig. Solange die Nachfrage hoch ist fällt es leichter, neue Betriebe zu gründen, und das Geld ist da für Weiterbildungen - und genau dies sind die wichtigsten Mechanismen, über die sich die Wirtschaft an veränderte Gegebenheiten anpassen kann. Bleibt die Nachfrage aber aus und die Wirtschaft läuft eher schleppend und kühl, dann ist sie auch starr und kann nicht flexibel reagieren. Der Schmied schmiedet das Eisen ja auch dann, wenn es heiß ist.


Fußnoten

[1] Natürlich sind solche Veranschaulichungen nie zu 100% korrekt. Es gibt durchaus Fälle, in denen Firmen neue Arbeitsplätze speziell für "Superstars" schaffen, die sich bei ihnen bewerben. Allerdings ist das Budget für die Einstellung solcher "Superstars" auch immer begrenzt. Wenn von heute auf morgen alle Arbeitslosen zu hoch gebildeten 25-jährigen Intelligenzbestien mit 50 Jahren Berufserfahrung würden, würde sich an der Arbeitslosenquote trotzdem nichts wesentlich ändern.

Dienstag, September 13, 2011

Erbschaftssteuer und Machtverhältnisse

Seit langem erstaunt mich, dass wir als Gesellschaft zwar die Vererbung politischer Macht weitgehend überwunden haben, aber die Vererbung wirtschaftlicher Macht nicht hinterfragen. Gerade angesichts des Ideals, dass die eigene Position in der Gesellschaft primär durch die eigene Leistung begründet sein sollte, ist Erbschaft ein hoch problematisches Konzept. Ab einem gewissen Freibetrag sollte eine ziemlich hohe und progressive Erbschaftssteuer, also eine Erbschaftssteuer, bei der der Steuersatz mit wachsendem Erbe steigt, eigentlich selbstverständlich sein.

Natürlich kann man die Erbschaftssteuer nicht ganz isoliert betrachten. Ist sie zu hoch, wird sie womöglich durch Schenkungen vor dem Tod hintergangen. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass einerseits der rein vererbten Finanzmacht ein Riegel vorgeschoben wird, und andererseits Firmen im Laufe der Generationen zum Gemeinschaftsbesitz werden.

Denn einerseits gibt es zwar positive Beispiele von Unternehmerfamilien, die über mehrere Generationen einen mittelständischen Betrieb sinnvoll weiterführen. Deshalb bin ich auch nicht für eine vollständige Enteignung im Erbfall. Andererseits muss auch die Tatsache anerkannt werden, dass eine erfolgreiche Firmengeschichte nicht im Vakuum entsteht, sondern durch das gesellschaftliche und regionale Umfeld erst ermöglicht wird.

Deswegen, so mein ursprünglicher Gedanke, sollte ein Großteil der Besitzrechte in öffentlich-rechtliche Stiftungen überführt werden, die politisch kontrolliert werden, z.B. gerade bei kleineren Betrieben durch kommunale Regierungen. Diese dienen, da sie von den Bürgern gewählt werden, als Mittler des politischen Willens bei der Verwaltung von Gemeinschaftsbesitz.

In einem Interview mit Sahra Wagenknecht habe ich nun eine weitere gute Idee dazu gelesen. Sie schlägt vor, den Besitz in eine Stiftung zu überführen, die von der Belegschaft selbst kontrolliert wird. Es gibt einiges, das dafür spricht. Zum einen ist die Belegschaft ein ganz zentraler Grund für den Erfolg eines Betriebs, weshalb es nur logisch ist, ihr über diesen Mechanismus einen noch konkreteren Einfluss zu geben. Andererseits ist damit garantiert, dass der Einfluss fachfremder Außenseiter auf die Firmenpolitik nicht zu groß werden kann. Das so typische Phänomen des generischen Managers, der von der konkreten Tätigkeit des Betriebs keine Ahnung hat und deshalb dumme Entscheidungen trifft, kann also vermieden werden. Das führt langfristig nicht nur zu gerechterem, sondern auch zu effizienterem Wirtschaften.

Es gibt natürlich trotzdem noch Gründe, die für die erste, politikgebundene Variante sprechen, und ich bin mir nicht sicher, welche davon nun wirklich die Bessere ist. Vielleicht ist ja auch eine Mischung denkbar. Sicher bin ich mir aber darin, dass beides besser ist als der Status Quo. Ein graduelles Verschieben der Machtverhältnisse über eine hohe Erbschaftssteuer erscheint mir der beste Weg zu einer effizienteren und menschlicheren Wirtschaftsform.

Sonntag, September 11, 2011

Remember, remember...

... the eleventh of September:

Am 11. September 1973 putschte das Militär in Chile. Der drei Jahre zuvor demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende nahm sich das Leben, nachdem die Luftwaffe begonnen hatte, den Präsidentenpalast La Moneda zu bombardieren. Eine Militärjunta unter der Führung von Augusto Pinochet regierte Chile daraufhin bis zum 11. März 1990 als Diktatur. Der Putsch wurde von den USA politisch und finanziell unterstützt und war ein zentrales Ereignis im Kalten Krieg, mit ähnlich symbolhafter Bedeutung wie die Revolution in Kuba.

Ist es die Ironie des Schicksals, dass die Daten so schön zusammenpassen? Oder haben die Vereinigten Staaten in ihrer Geschichte einfach so viel Terrorismus in anderen Ländern unterstützt, dass es sich um keinen großen Zufall handelt?

Mein Mitleid gilt nicht nur dem chilenischen, sondern auch dem US-ischen Volk. Beiden wurde an einem 11. September großes Unrecht angetan.

Aber bei aller Ausgeglichenheit auf Ebene der Opfer fällt es mir doch schwer, die entsprechende Ausgeglichenheit auch auf Ebene der Täter zu finden. Denn wer stark ist hat automatisch eine größere moralische Pflicht, seine Stärke nicht zu missbrauchen.

Samstag, September 10, 2011

Lang lebe die Seilschaft

Nun verlässt also der zweite Deutsche die EZB, weil seine Ideologie mit der Realität nicht mehr kompatibel ist. Im Grunde würde ich dem keine Träne nachweinen, würde es nicht so aussehen, als würde Jörg Asmussen ihn ersetzen. Ja, der Asmussen von der neoliberalen Asmussen-Weidmann-Weber Seilschaft. Das hätte nun wirklich nicht sein müssen.

Aber wenden wir uns den Inhalten zu. Der große Streit geht um die Tatsache, dass die EZB Anleihen einiger Euro-Mitgliedsstaaten kauft. Folglich steigt der Preis dieser Papiere, und ihre Rendite sinkt. Dadurch gelingt es einerseits den jetzigen Inhabern dieser Anleihen diese zu verkaufen, umgangssprachlich: los zu werden. Andererseits wird es den Staaten ermöglicht, neue Anleihen zu niedrigeren Zinssätzen auszugeben (der Zins, den die Staaten auf bereits ausgegebene Anleihen bezahlen, ändert sich natürlich nicht).

Rein pragmatisch gesehen ist das vermutlich notwendig, weil die betroffenen Staaten sonst durch einen Teufelskreis in den Bankrott getrieben würden, auch wenn sie ansonsten eigentlich solide dastehen würden. Hohe Renditen von Anleihen werden als Anzeichen interpretiert, dass diese Anleihen ein höheres Ausfallrisiko besitzen. Das verleitet Anleger dazu, diese Anleihen zu verkaufen (und sich von dem erlösten Geld Anleihen eines anderen Staats zu kaufen - dass die Rendite deutscher Anleihen seit Beginn der Finanzkrise im Schnitt deutlich gesunken ist hat mit unserer Wirtschaftspolitik herzlich wenig zu tun). Dadurch sinkt der Preis der Anleihen, was einem Anstieg der Rendite entspricht. Und damit erneuert sich der Kreislauf. Ein Herdentrieb, dem die EZB entgegenwirken kann, indem sie Anleihen der betroffenen Staaten kauft.

Menschen wie Axel Weber und Jürgen Stark (die beiden EZB-Deserteure) vertreten aber nun implizit eine Ideologie, laut der die Regierungen dem Diktat der Finanzmärkte unterworfen werden müssten, weil sie sonst durch ausufernde Staatsdefizite die Inflation beschleunigen würden. Da ihre Ideologie außerdem eine Begrenzung der Inflation über alles stellt - im Gegensatz zum Magischen Viereck einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik - gehen ihnen die Anleihekäufe gegen den Strich.

In der Tat ist die EZB für solche Aktionen denkbar ungeeignet. Es muss das Prinzip gelten, dass eine größere Regierungseinheit einspringt, wenn eine kleinere Einheit strauchelt. So ist es selbstverständlich, dass das Land eingreift, wenn eine seiner Kommunen in Finanzschwierigkeiten gerät. Der Haushalt der Kommune wird dann streng kontrolliert, aber die Kommune wird nicht den Haien zum Fraß vorgeworfen. Stattdessen greift das Land fördernd ein - auch mit zusätzlichen Ausgaben - um die Kommune wieder auf die Beine zu stellen. Genau dies muss nun auf europäischer Ebene geschehen.

Allerdings ist das ein höchst politischer Akt. Die Form des Eingriffs muss politisch entschieden werden, und die politische Entscheidung bedarf einer soliden demokratischen Legitimation. Der Ministerrat oder die in den Medien ausdiskutierten mehr oder weniger automatischen Mechanismen können dies nicht leisten, und die EZB schon gar nicht.

Die beste Lösung wäre, das Europäische Parlament zum monetären Souverän der Eurozone im Sinne der Modern Monetary Theory zu küren. Es ist hinreichend legitimiert, um mit einem eigenen Budget die notwendigen demokratischen Entscheidungen für Konjunkturpakete zu treffen. Diese Einsicht wird den Politikern auf nationaler Ebene leider schwer fallen, und so muss sich die EZB mit der Realität abfinden, bis diese oder eine vergleichbare Lösung implementiert ist, und weiter Feuerwehr spielen.